Gans lustig
Auf dem Spielplatz sorgte Gerd für Erstaunen, denn er hatte einen Fußball mitgebracht, der ganz bunt bemalt war. Plötzlich kam Silke auf dem Cet-Car ihres Bruders um die Ecke gesaust: „Hey“, rief sie, „ich muss euch was dolles erzählen......!“ Alle Blicke richteten sich sofort auf sie. „Heute waren Polizisten an unserer Schule!“ „Ja, warum denn das?“ fragten die Kinder erstaunt. „Also, alles begann so“, sagte Silke. “Zunächst hatten wir gar nicht bemerkt, dass ein neuer Schüler, zugegeben etwas exotischer Natur, nach der Pause im Biologieraum anwesend war. Unzweifelhaft hatte er das offene Fenster genutzt. Unsere neue Lehrerin, ich glaube sie heißt Frau Großhut, eröffnete den Unterricht mit dem Thema ‚Federtiere’ und hatte die ersten Worte des Textes  ‚Martins Gans’ vorgelesen, als plötzlich laut-krächzender Protest aus dem hinteren Teil des Klassenraumsertönte: „Ganz böse, ganz böse!“ Alle drehten sich erschrocken um: Da thronte er direkt über Oddi, dem Skelett, und meldete sich mit Empörung zu Wort. Frau Großhut hielt den Atem an. Die Kinder saßen mit geduckten Köpfen. Da ertönte es: „Blöde Gans, blöde Gans!“ Dabei stierte der bunte Gesell direkt hinüber zu Frau Großhut. Hillflos stürzte Frau Großhut sofort aus dem Klassenraum und fiel beinahe über die Füße des Schulleiters. „Herr Brohm, Herr Brohm, kommen sie schnell, ein Papagei! Er sitzt....“, brachte sie aufgeregt hervor.  „Aber Frau Großhut“, unterbrach Herr Brohm ungläubig, „was erzählen sie denn da? Wir sind doch hier schließlich nicht im Zoo!“ „ Doch, doch!“, entgegenete Frau Großhut und fand vor Aufregung keine Worte. Sie zerrte ihn am Ärmel in die Klasse und wies mit dem Finger in Richtung Oddi, des Skeletts. Abgesehen davon, dass Herrn Brohm bei jedwedem Anblick des Skeletts immer ein bisschen schlecht wurde, kam er heute nicht dazu, diesem Gefühl nachzugeben. Erstaunt schaute er auf den bunten Ara-Papagei, der neugierig auf alle herabblickte. „Du meine Güte, Frau Großgut, was tun wir jetzt?“ Herr Brohm war fassungslos.  „Ganz dumm, ganz dumm!“ krächzte der Papagei zustimmend. Die Kinder konnten ein schüchternes Kichern kaum unterdrücken. „Frau....äh, äh, ... Frau Bloßhut!“ rief Herr Brohm etwas verwirrt, „am besten wir rufen sofort die Polizei!“ Mit diesen Worten flüchtete er. Still verharrten alle an ihren Plätzen. Nach einiger Zeit sagte ein Mädchen: „Seht doch, was für schöne Federn er hat!“ . Alle reckten die Köpfe. „Solche Farben habe ich noch nie gesehen“, bestätigte ein Junge. Währenddessen zog der Ara sanft einzelne seiner Federn durch seinen krummen Schnabel und krächzte dazu: „Ganz schön, ganz schön!“ Plötzlich breitete er die Fügel aus und setze an zu einem schwirrenden Flug quer durch den Raum hinüber zu Frau Großhut, die vor Schreck unter das Pult flüchtete. Die Kinder kämpften ebenfalls geduckt und mit Mühe gegen das Lachen an, wagten aber nichts zu sagen. Nur der Papagei thronte sichtlich zufrieden oben auf dem Tafelrand und beäugte neugierig das Geschehen im Klassenraum.
Nach ca. einer halben Stunde öffnete sich ruckartig die Klassentür. Herr Brohm stürmte mit hochrotem Kopf in Begleitung von zwei Polizisten hinein und blickte als erstes verwundert auf Frau Großhut, die den Platz unter ihrem Pult immer noch nicht verlassen hatte und von dort den Kindern Verhaltensmaßregeln zukommen ließ. Der Papagei hatte zuvor weiterhin emsig den Klassenraum erkundet, war mal hier- mal dorthin geflogen. Durch das laute Auftreten des Schulleiters und seiner Begleitung nun ebenfalls verschreckt, flog er unverzüglich wieder in Richtung Oddi und plazierte sich direkt auf dessen knöchernem Schädel. „Da, sehen sie“, rief Herr Brohm den Polizisten zu, während einer der Beamten direkt auf dem Absatz kehrt machte und erschrocken der Tür entgegenschnellte. Dazu tönte es krächzend von hinten „Ganz feige, ganz feige!“ Die Kinder kicherten und Herr Brohm fuchtelte hilflos mit den Armen umher: „Nun kommen sie schon, ...äh.....Frau Kloßgut!“, forderte Herr Brohm sie hilfesuchend auf, das kann doch nicht so weitergehn!“  „Und wo ist überhaupt ihr Kollege?“ raunzte er gleichsam etwas wütend den verbliebenen Polizisten an. „Ganz gut, ganz gut!“, setzte der Ara nachdrücklich hinzu, und auch diesesmal hatte sein Gekrächze etwas schier Ironisches. Die Kinder lachten, bis Sven, der Klassenälteste, plötzlich unvermittelt rief: „Ich habe auch eine Gans, sie heißt ‚Wuchtich’.  ---- „Nein,  wirklich?", riefen die Kinder laut lachend und voller Staunen. „Ja“, sagte Sven, „wir haben sogar ein Schild an unserem Gartentor: ‚Warnung! Hier wacht Wuchtich!’ Das macht richtig Eindruck und stimmt sogar!“ Die Kinder waren beeindruckt. Martins Gans war unzweifelhaft ein Familienmitglied, manch andere landete...
„Also, nun werden sie schon tätig!“, brummte Herr Brohm dem noch vorhandenen Polizisten zu. „Es wird doch wohl schon jemand dieses entflogene Federvieh vermissen!“ „Und nun“, erzählte Silke den Kindern auf dem Spielplatz, die mucksmäuschenstill zugehört hatten, „nun müssen wir einen Aufsatz darüber schreiben. Die Überschrift lautet ‚Gans lustig’. Und natürlich würde ausnahmsweise ‚Gans’ am Ende mit „s“ geschrieben, hatte Frau Frohmut extra hinzugefügt.
 
Ilse
„Hullaaah hupp!“ johlte ich, umfasste den bunten Ring und gab ihm Schwung. Nach dem Umzug in dieses Haus hatte man einen Teil meiner Spielsachen im Wohnzimmer drapiert: Brettspiele, Steiftiere, den kleinen Korbsessel mit Suse, der Puppe, die mich nie interessiert hatte und einen Luftballon, der durch den Luftzug des Hula-Hupp-Reifens bereits im nahegelegenen Esszimmer gelandet war. Wieder gab ich Schwung und rief laut „Hulaaahhh!“. Schnaps, der kleine hellgraue Vierbeiner von Steif, war vor lauter Schreck umgefallen und lag direkt vor mir. Suse lungerte quer auf dem Korbsessel, ihr Kopf mit langweiligem Gesichtsausdruck ragte über die mir zugewandte Lehne. Sie schien keineswegs begeistert im Gegensatz zu mir. Zwar war dieses Wohnzimmer mit den mich umgebenden Spielsachen nicht das passende Ambiente, schließlich lief ich Gefahr mit meinem Hulla-Hupp-Reifen etwas kaputt zu machen – aber das tat meinen schwungvollen Bewegungen keinen Abbruch. „Lotta!“ tönte es aus dem oberen Stockwerk, „Lottaaaaa!“ – Ich hielt inne. Tante Margret, die mein neues Kinderzimmer herrichtete, hatte eine Überraschung angekündigt. Neugierig rannte ich die Treppe hoch, stieß beinahe mit ihr zusammen und fragte „Ja!?“. „Nun darfst du hinein, aber langsam und vorsichtig“, riet sie. Vor lauter Spannung wagte ich es kaum die Türklinke hinunterzudrücken. „Herein, herein!“, krähte es dahinter.Verwundert blickte ich hoch zu Tante Margret. Sie lächelte ermunternd. „Aber das kann doch nicht....“, stammelte ich, und als sie mich  sanft durch den Türspalt schob traute ich meinen Augen nicht: „Ilse, meine liebe Ilse!“, rief ich und rannte zum Käftig, „da bist du ja wieder!“  Vor knapp einem Jahr war Ilse, mein Graupapagei, handzahm und frei im Zimmer umhergeflogen, bis eines Tages ein offenstehendes Fenster ihre Neugier geweckt hatte...